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Saumäßig

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Frau Dr. Lorenz, die hoher Wahrscheinlichkeit in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt, ist eine ganz Gescheite – und eine ganz wichtige Person. Davon kann ich mich während einer Mittagspause überzeugen, denn Frau Dr. Lorenz sitzt am Nebentisch.
Nun gehört es weder zur guten Kinderstube noch zu meinem Normalverhalten, die Gespräche anderer am Nebentisch zu belauschen. Aber wenn man allein isst, weil die schnöden Kollegen entweder im Urlaub sind, sich was von daheim etwas zum Essen mitgebracht oder etwas vom Brotzeitmann gekauft haben, dann kann das schon mal passieren. Also trabe ich allein los, nehme Platz, bestelle und harre des Essens, das da kommen wird.
Sprachfetzen wehen zu mir herüber. Deshalb möchte ich den Vorwurf des aktiven Belauschens weit von mir weisen, es ist mehr das passive Belästigt-Werden, mitanhören zu müssen, was am Nebentisch in ungebührlicher Lautstärke so geredet wird.
Die Lorenz hat einer anderen Frau ein Business-Lunch verordnet. Letztere lauscht ergriffen interessiert und gelegentlich rückfragend den pausenlosen Ausführungen ihres Gegenübers, offensichtlich will die Frau ein Geschäft abschließen und übt sich in vollendeter Taktik: Intensiv zuhören und einen interessierten Gesichtsausdruck auflegen. Das allerdings kann ich nur vermuten, denn die Andere sitzt mit dem Rücken zu mir.
Die Lorenz ist offensichtlich gerade aus dem Urlaub zurückgekommen und erzählt davon, vielleicht, um auf die Small-Talk-.Pflichtfrage zu reagieren: „Wie war es denn eigentlich im Urlaub?“
„Ich sag’s Ihnen“, räsoniert die Lorenz. „Total verregnet.Das Wetter war einfach saumäßig. Man kann es nicht anders sagen.“
„Wie bedauerlich“, pflichtet ihr ihr Gegenüber bei, ohne selbst das Wort und damit die Gesprächsinitiative zu übernehmen.
„Es ist ja nicht so, als ob wir nicht genug zu tun gehabt hätten“, erzählt die Lorenz weiter. „Es gab ja genug Museen. Aber immer nur Museen?“
Die Andere nickt.
„Obwohl wir natürlich viel gelernt haben im Urlaub.“
Soso… im Hause Lorenz wird Bildungsbeflissenheit also groß geschrieben, auch im Urlaub. Das verdient meinen Respekt. Nun ist es nicht so, dass ich nicht auch im Urlaub was lerne, aber das geschieht eher so nebenbei. Seit dem vergangenen Urlaub weiß ich unter anderem, was Drachenkopffische sind, habe mich über den Krieg um die serbische Krajina informiert und in Erfahrung gebracht, dass die Pass-Straße Mali Alan auf Veranlassung von Kaiser Franz Josef gebaut wurde. Ich habe gelernt, dass die Venezianer Pag abgeholzt haben und Wehrtürme gegen Türken und Piraten errichtet haben. Ich habe einen Scheltopusik gesehen und kann mich jetzt auf kroatisch verabschieden. Aber Lernen würde ich das nicht gerade nennen.
Während ich so darüber nachdenke, was ich alles so gelernt habe, verpasse ich, wo denn nun eigentlich die Lorenz im Urlaub war und was genau sie dort gelernt hat. Denn da mittlerweile die Wirtin die Bestellung aufgenommen hat, wurde am Nebentisch das Thema gewechselt.
„Einen Salat mit Tofu“, bestellt sie ohne lange zu zögern. Ihr Gegenüber tut es ihr gleich. Da die andere ja mit dem Rücken zu mir sitzt, kann ich schlecht abschätzen, ob sie das jetzt aus Überzeugung macht oder ob das wieder bloßes taktisches Kalkül bedeutet. Vermutlich ist es nur zielgerichtetes Taktieren: Will man einen Kunden akquirieren, ist es clever, das gleiche Essen zu bestellen, das deutet auf den gleichen guten Geschmack hin. Auch wenn die Andere vielleicht lieber den Schweinsbraten mit Knödel oder die Farfalle mit Salsicca und Erbsen gegessen hätte.
Und wer Salat mit Tofu ordert, der mag vielleicht nicht, dass sein Gegenüber am Tisch Stücke von einer toten Sau verdrückt. Vegetarier können da sehr eigen sein, Veganer noch mehr.Im Benehmen saumäßig
Als solches nämlich outet sich Frau Dr. Lorenz.
Erstaunlich schnell ist der Salat serviert, das sprudellose Mineralwasser, das ja jetzt nur noch ohne Gas heißt, ebenfalls. Nachdem sie sich vorsorglich großflächig mit Papierservietten abgedeckt hat, stochert die Lorenz lustlos im Salat herum und schiebt die Tofubrocken hin und her.
Und dann, aus heiterem Himmel, regt sie sich doch noch mal über den verregneten Urlaub auf. Nirgendwo habe man etwas Gescheites zu essen bekommen, im ganzen Ort nicht.
„Überall nur Restaurants für Fleischfresser!“
Ein paar Gäste drehen den Kopf um, auch ich schaue auf. Ja… Fleischfresser. Das Wort fällt. Nicht -esser. Sie sagt -fresser.
Und offensichtlich darf es jeder hören, oder es soll sogar jeder hören. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wieso zahlreiche Veganer glauben, alle um sie herum würden sich dafür interessieren, wie sie sich ernähren… und wie nicht. Oder warum schmieren sie einem das sonst ungefragt fortwährend auf’s Butterbrot. (Butter bitte streichen… nicht auf’s Brot, sondern ganz).
Aber wie klug war es von ihrem Gegenüber, dass sie auch das Tofu bestellt hat. Das offenbart sich jetzt nach dem emotionalen Ausbruch der Lorenz.
Nicht auszudenken, welchen Mega-Deal sie eventuell riskiert hätte, wenn sie unbekümmert totes Schwein bestellt hätte.
Vermutlich hätte Frau Dr. Lorenz sie einfach sitzen lassen. Oder sie hätte sie belehrt über die Schädlichkeit echten Fleisches.
Jetzt weiß ich auch, wie die Lorenz, die sich einigermaßen saumäßig aufführt, mit Vornamen heißt: Renate.

 

PS: Sollten Sie jetzt nach einer Dr. Renate Lorenz googeln… es gibt eine. Eine Zahnärztin. Die namentliche Übereinstimmung ist allerdings reiner Zufall.

Der Beitrag Saumäßig erschien zuerst auf Zwetschgenmann.


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